Title

"25 Jahre Gemeindepräsident in Neubrandenburg "

Bruder Otto Krakow

(aus der Zusammenstellung von Manfred Schütze, "Was Du ererbt von Deinen Vätern. . .")

Die Verhältnisse waren schlimm, als Bruder Otto Krakow (Jahrgang 1910) bei Kriegsende von Stettin her wieder in seine Heimatstadt Neubrandenburg kam, wo noch seine Mutter lebte. Er kam, auf Krücken gestützt, um seine Familie in Sicherheit zu bringen.

Wie nahezu alles zerstört und aus der Ordnung geraten war, so erging es auch der Kirche in Neubrandenburg. Es existierte keine Gemeinde mehr, kein verantwortlicher Bruder war da Einer, der früher einmal Verantwortung getragen hatte, hatte sich von der Kirche abgewendet und sah den Sinn seines Lebens nur noch darin, Brot zu sammeln, um zu überleben.

Was verwundert es, daß Bruder Ranglack von der damaligen Missionsleitung, als er nach Neubrandenburg kam, auf Bruder Krakow zuging. Er bot ihm finanzielle Hilfe an, um die materielle Not zu lindern. Typisch für Bruder Krakow ist die direkte Antwort, die er ihm darauf gab: "Mit Geld könnt ihr uns gar nichts nützen, ihr könnt uns nur helfen, indem ihr uns Missionare herschickt."

Bald darauf kamen die ersten Missionare, unter ihnen zu Fuß Bruder Walter Krause aus Wolgast. Bruder Krakow beherbergte und verpflegte sie, Hausversammlungen wurden durchgeführt, später in einer öffentlichen Handelsschule Gottesdienste.

Die ersten gemieteten Räume erwarb die Kirche in der Pfaffen straße. Unter den leitenden Brüdern war Bruder Krakow, der tatkräftig mithalf, die Räume zu verschönern, daß sie den Vorstellungen der Kirche entsprachen. Als der Gemeinde präsident, Bruder Roloff, durch Heirat nach Cottbus zog, wurde Bruder Krakow 1951 für 25 Jahre sein Nachfolger.

Viele Hochs und Tiefs hat er in diesen Jahren erlebt. Er ist in seiner direkten, ehrlichen und demütigen Art allen ein guter Führer, vielen ein Beispiel, manchen ein Segen. Heute ist nicht mehr meßbar, wie vielen er eine Hilfe war -oder wie oft er Belehrungen, bzw. Ansprachen gegeben hat Daß die Neubrandenburger Geschwister aber ein eigenes Gemeindehaus erwarben und ausbauten in einer Zeit, wo das anderenorts so schwierig war, ist eines seiner Verdienste. Dabei betont er, daß er sich in allen seinen Entscheidungen immer von seinem himmlischen Vater hat leiten lassen.

Als die von der Kirche in der Pfaffenstreße gemieteten Räume von dem Besitzer, einer Schneidergenossenschaft, gekündigt wurden, erreichte er es, daß ein Seitengebäude an die Kirche verkauft wurde. Dies zu kaufen bedeutete viel Mut! Das bestätigten ihm auch Bausachverständige, als sie den baufälliqen Zustand des Hauses allgemein und die Wannen und Schüsseln auf dem Dachboden sahen, die das Regenwasser auffangen sollten, das durch das überall undichte Dach drang. Bei dem Gebäude handelte es sich um eine Remise, wo Pferdewagen untergestellt worden waren und wo nebenan die Dienstboten für ein herrschaftliches Vorderhaus wohnten. Sogar ein Schmiedefeuer war noch vorhanden.

"Arbeit scheuen wir nicht", war die knappe Antwort des Gemeindepräsidenten. Und so legten alle Gemeindemitglieder fleißig mit Hand an. Von außerhalb kam Hilfe. Bruder Brokatzki aus der Gemeinde Werdau, ein Fachmann, brachte zuerst das Dach in Ordnung. Bruder Pawlowski aus Schwerin war ein eifriger Maurer, und Bruder Krause pendelte zwischen Prenzlau und Neubrandenburg, um benötigtes Material herbeizuschaffen.

"Wir hatten gute behördliche Unterstützung bei der Material- bereitstellung und keinerlei Schwierigkeiten", erinnert sich Bruder Krakow dankbar. Er ist der Kopf des Ganzen, der Organisator, Lenker und gleichzeitig einer der Aktivsten unter den arbeitenden Gemeindemitgliedern.

1967-wurde die erste Versammlung in einem Teil des Gebäudes durchgeführt, 1970 der große Saal bezogen. Die Räume wurden benötigt, die Gemeinde ist gewachsen. Bruder Krakow erinnert sich, daß in der Folgezeit viele Höhepunkte in diesen Räumen stattgefunden haben. Einer davon war die Anwesenheit einer Generalautorität, Elder Theodore M. Burtons, der Ostern 1972 dies kircheneigene Grundstück und Gebäude weihte. Ein anderer war die Anwesenheit des damaligen Missionsjugendchores im August 1972. Bei dessen Konzert seien ca. 100 Personen anwesend gewesen - er selbst sei zu Tränen gerührt worden.

In der Folge fanden verschiedentlich Distrikts- und Sonder-gottesdienste statt, aber neben diesen besonderen Versammlungen ist das Gemeindehaus immer ein Zentrum kirchlichen Lebens der Gemeindemitglieder gewesen.

Als Bruder Krakow 1976 entlassen wurde und die Berufung an eine jüngeren Bruder überging, übergab er eine solide Gemeinde mit guter Führerschaft, jungen Ehepaaren und starker Geistigkeit des größten Teils der aktiven Mitglieder.

Befragt danach, was sein schmerzlichstes Erlebnis während seiner Berufung gewesen sei, nennt er den plötzlichen Tod seiner Frau. "Was glauben Sie, wie ich da oben gesessen habe, vorn auf dem Podium, und habe gezittert, als 1973 meine Frau ganz plötzlich starb - an Krebs - ich war fix und fertig. Meine Frau war für mich diejenige, die im Glauben stärker war als ich. Sie hat mich oftmals ermutigt. Als Bruder Roloff, mein Sekretär, starb und ich abends die Berichte machen mußte, was glauben Sie, wie ich mich gequält habe. Manche Nacht habe ich gesessen, und meine Frau hat dann gesagt: 'Nun komm doch schlafen, Schatz, vielleicht sieht es morgen anders aus. Beruhige dich erst einmal.'

Und dann erzählt er von seiner bescheidenen Herkunft und Bekehrung: "Ich bin ein einfacher Mensch, habe nur die Volksschule besucht, Ich war der Sohn einer Witwe mit vier Kindern, von denen ich der Älteste war. Mir hat niemand bei Schularbeiten geholfen. Und wenn ich heute einiges kann, dann muß ich sagen, alles, sogar das Sprechen (ich habe nur Plattdeutsch sprechen können), habe ich durch die Kirche gelernt, alles nur durch die Tätigkeit innerhalb der Kirche.

Getauft bin ich von einem Missionar, Wende G. Allen, am 27.12.3927 (er weiß das Datum und den Namen ganz spontan) hier im Neubrandenburger Tollensesee. Meine Mutter hatte etwas dagegen. Ich war später Sonntagsschulsekretär. Eines Tages fand sie meine Berichtsbuch und einige Zehntenquittungen. Sie hat alles in den Ofen geworfen, worauf ich so erregt war, daß ich vor meiner Mutter ausgespuckt habe. Daraufhin hat sie mich hinausgeworfen, meine Geige, meine Zieharmonika, meine Bücher flogen hinterher.

Doch später haben wir uns versöhnt. Als sie 78 Jahre alt war, konnte ich sie noch taufen, und sie machte mir große Freude, als sie sagte: 'Wenn doch all min Kinner so worn wärn wie du.' Das werde ich nie vergessen. Und ich hatte meiner Mutter lange vergeben. Stellen Sie sich vor, ich bin so lange mitglied in der Kirche, sechzig Jahre, doch vollkommen werde ich nie. Wir können so alt werden, steinalt, doch wir werden nie alles begreifen, so reich ist das Evangelium. Wir können es nie alles erfassen."

Als ich bei meinem letzten Besuch ein frischrenoviertes Klassenzimmer betrachtete und feststellte, wie sauber es tapeziert worden war, da sagte einer der Brüder neben mir: "Ja, das hat Bruder Krakow vor kurzem gemacht." Dabei kommt er Sonntag für Sonntag mit seinem "Trabant", wie er sein Fahrrad liebevoll nennt, weil es mit ihm leichter ist als zu Fuß, denn das Laufen fällt ihm schon schwer.

Welch ein frischer Geist in einem alternden Körper!!