Title

"Ein echter Israelit, in welchem kein Falsch ist"

Bruder Walter Krause

(aus der Zusammenstellung von Manfred Schütze, "Was Du ererbt von Deinen Vätern. . .")

Jegliche Beschreibung der Entwicklung der Kirche in der DDR "stößt" immer wieder auf die Persönlichkeit unseres derzeitigen Patriarchen, Bruder Walter Krause. Vieles hätte sich ohne seinen Einfluß nicht oder anders bewegt.

Seit seiner Kindheit, gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Eltern, die ihn deswegen enterbten und des Hauses verwiesen, ein treues Mitglied der Kirche und in verschiedensten Berufungen tätig, ist er ein Beispiel for Aufrichtigkeit und Hingabe. Am 2.Juli 1945 wurde er aus der Gefangenschaft nach Cottbus entlassen. Sofort suchte er die Kontakte zu den Mitgliedern der Kirche. Traurig sah vieles aus. In zwei Lagern, im Erzgebirge und in Cottbus, hielten sich einige von denen auf, die durch den Krieg ihre Heimatverlassen mußten und nun gänzlich entwurzelt waren. Bruder Krause erhielt sogleich die Berufung, die Cottbuser Gemeinde zu Übernehmen.

Aber bereits Ende November 1945 kam der damalige Missionspräsident, Bruder Ranglack, auf ihn zu, um ihn auf Mission zu berufen. Auf die Frage, wie er darüber denke, antwortete Bruder Krause: "Ich denke darüber Überhaupt nicht nach, wenn der Herr mich braucht, gehe ich."

Und dann erzählt er weiter: "Ich habe darüber gebetet und bin am 1.Dezember 1945 mit 20 Mark in der Tasche, einem Stück trockenes Brot und einer Flasche Tee losgefahren. Ein Bruder hatte mir einen Wintermantel von seinem gefallenen Sohn gegeben. Ein anderer Bruder, der Schuhmacher war, gab mir ein Paar Schuhe. So bin ich mir zwei Hemden, zwei Taschentüchern und zwei Paar Strümpfen auf Mission gegangen."

Sein erstes Arbeitsgebiet war Leipzig. Über seine Ankunft dort und seine Arbeit berichtet er selbst: "Am 1.Dezember 1945 kam ich als neuberufener, langfristiger Missionar in Leipzig an. Ich wußte, daß die Gemeimderäume sich dort auf der Tauchaer Straße befanden und daß Ältester Alfred Kirchert Gemeindepräsident war. Ich sollte mich bei einem Bruder melden, der auf der Querstraße wohnte. Als ich vom Bahnhof kam, stand eine Polizistin auf der Kreuzung und regelte den Straßenverkehr. Ich ging zu ihr und sprach sie an: 'Bitte,wo ist hier die Querstraße?' Sie antwortete: 'Die nächste Querstraße.' Dieses Wortspiel gefiel mir gut, deshalb habe ich es bis heute nicht vergessen.

Ich kam zu dem Bruder, und obwohl er kein Amt in der Kirche hatte, gab er mir Instruktionen, die ihm meines Erachtens nicht zukamen. Überhaupt glaubte ich, daß er nicht begriffen hatte, was ein Missionar der Kirche Jesu Christi der Heiligender Letzten Tage zu tun hatte. So verabschiedete ich mich von ihm, nachdem ich gefragt hatte, wo noch andere Mitglieder wohnten. Er verwies mich an die Familie Naegler nach Wahren. Ich machte mich dorthin auf den Weg. Ich kam am späten Nachmittag an und fand die Geschwister vor, die Über meinen Besuch glücklich waren.Für den Abend war eine Hausversammlung angesetzt,an der ich nun mir Freuden teilnahm. Dort, fand ich den Geist, der mir unbedingt als nötig erschien, um im Werkedes Herrn fruchtbar arbeiten zu können. Schwester Beyer gewährte mir auch Nachtquartier. So war ich erst einmal untergebracht. Ich blieb nur einige Tage in Leipzig, da mich der damalige Distriktspräsident, auch ein langfristiger Missionar, nach Naumburg schickte. Beide Gemeinden arbeiteten damals eng zusammen. Aber im Januar 1946 kam ich nach Leipzig zurück.

Ich ging am Sonntag zum Gottesdienst. Die Gemeinderäume waren unfreundlich und kalt, der Krieg war ja gerade erst vorüber, und die Mitglieder waren physisch und psychisch nicht im besten Zustand. Es wollte mir scheinen, als seien sie alle gegeneinander aufgebracht. Sie beschuldigten sich gegenseitig mit Dingen, die schon viele Jahre zurücklagen.

So lud ich alle für einen anderen Tag in die Gemeinderäume ein zu einer freien Aussprach da ich die Aufgabe erhalten hatte, in der Gemeinde Ordnung zu schaffen.

An diesem besagten Tage konnte jeder frei reden, und ich hörte mir alles geduldig an und machte mir mein eigenes Bild und flehte in meinem Innern um den Geist Gottes, damit ich wirklich helfen konnte. Ehe es Zeit war, diese Zusammenkunft zu schließen, sagte ich etwa die folgenden Worte: 'Liebe Geschwister, ich habe Sie fast alle erst jetzt kennengelernt. Wenn ich dem allen glauben soll, was Sie heute hier vorgetragen haben, so ist niemand und nichts in Ordnung. Aber vielleicht kann ich Ihnen mir einigen Versen von dem Dichter Endrikat helfen.' Dann zitierte ich folgendes Gedicht:

Als ein Ochse einen Wagen
voll mit Mist beladen zog,
ging er, um sich zu beklagen,
da die Last zu schwer ihm wog.

Als man ihm dann aber sagte,
daß sein eigner Mist es wär,
Über den er sich beklagte,
schien die Last ihm doppelt schwer.

Doch er zog sie mit Geduld,
was ja sehr verständlich ist,
denn es war ja seine Schuld,
warum macht' er so viel Mist.

Meine Schlußworte waren: 'Warum macht Ihr Leipziger so viel Mist!' Die Wirkung auf die Mitglieder war verblüffend. Einige lächelten oder schmunzelten,einige zogen bittere Mienen oder räusperten sich, einige wollten aufmucken, sahen sich aber in der Minderzahl und schwiegen lieber. So kam es, daß, wohl jeder in sich ging und dieses kleine satirische Gedicht nicht fehl am Platze war. Es tat gelinde seine Wirkung, ohne jemanden persönlich anzugreifen. Der Friede war mit ganz wenigen Ausnahmen wieder hergestellt.

Nach wenigen Monaten kam für mich eine Versetzung: 'Bruder, Sie gehen nach Mecklenburg auf Mission. Ohne Mitarbeiter!' "

In der Folgezeit begann Bruder Krause, Gemeinden in Demmin, Wolgast, Neubrandenburg und Prenzlau aufzubauen, so daß in Mecklenburg damals acht Gemeinden existierten. "Das war ein reiner Segen für mich", urteilt er heute, obwohl er mehr als ein Jahr allein tätig und ohne Einkommen war und seine Familie in Cottbus im Lager zurückgelassen hatte.

Es kann manchem schwer verständlich sein, wenn Bruder Krause von dieser Zeit und den nachfolgenden 18 Jahren als Distriktspräsident als den segensreichsten seines Lebens spricht, zumal, wenn man an die vielen Probleme denkt, die zu lösen waren.

"Ich ging einmal im Winter von Prenzlau zu Fuß nach Kammin (einem kleinen mecklenburgischen Dorf), wo wir damals bis zu 46 Anwesendein unseren Versammlungen hatten. Ich kam spät abends nach etwa sechs Stunden Fußmarsch über Straßen, Wege und zuletzt über Sturzacker bei tiefer Dunkelheit an.

Kurz vor dem Dorf sah ich eine große, weiße Fläche, überdie es leicht zu laufen ging und ich schnell mein Ziel erreichte. Am nächsten Morgen kam ein Fischermeister zu dem Bruder, bei dem ich übernachtete. 'Haben Sie Besuch?' 'Ja.'' Dann sehen Sie einmal die Spur von ihm.' Da hatten die Fischer in dem zugefrorenen See ein großes Loch zum Fischen aufgehackt. Der Wind hatte den Schnee auf das Loch geweht und es verdeckt, so daß ich die Gefahr nicht sehen konnte. Meine Spuren führten jedoch exakt an dem Loch vorbei auf die Tür unseres Bruders zu, ohne daß es mir bewußt war. Ich wäre mit dem Rucksack und den Gummistiefeln, die ich trug, auf jeden Fall ertrunken. Das hat damals in dem kleinen Dorf viel Aufsehen erregt."

Begeistert berichtete er davon, we er Grundstücke für Gemeindehäuser kaufen konnte, Jugendtagungen mit bis zu 1O0 Teilnehmern organisierte und dabei mit Glauben und Tatkraft Schwierigkeiten des Transportes und der Versorgung überwand. "Direkt an der See haben wir eine Küche aufgebaut und die Lebensmittel mit einem Ochsen durch den Sand transportiert. Das dauerte 5 Stunden, bis wir an Ort und Stelle waren. Aber wir haben es geschafft."

Eines der größten Probleme beim Besuchder Gemeinden waren immer die Entfernungen. Fußmärsche von 12 bis 13 Stunden, um 50 Kilometer und mehr zu überwinden, waren nicht selten.

Mehrmals lief er die Strecke Demmin - Wolgast. Das bedeutete, morgens loszugehen und am nächsten Tag, morgens gegen 3 Uhr, anzukommen. Dabei besaß er weder Geld, noch erhielt er anderweitige regelmäßige Unterstützung. "Ich lebte nur von dem, was die Geschwister uns gespendet haben."

"Ein großes Zeugnis hatte ich bei der Taufe einer Schwester, die noch heute in der BRD lebt. Sie hatte eine Bescheinigung des Arztes, daß sie wegen ihrer Ohren niemals in kaltes Wasser gehen durfte. Am Tauftag war es kalt, es gab Eis und Schnee. Ich bin sechsmal in's Wasser hinein und heraus, um zu taufen. So auch bei dieser Schwester. Niemandem ist gesundheitlich etwas passiert. Wir hatten nicht einmal einen Schnupfen."

Wenn Bruder Krause dergleichen Zeugnisse erzählt, von denen er noch mehrere besitzt, betont er immer wieder, daß er nicht erzählen will, um zu gelten. "Was der Herr an mir getan hat, ist nicht zu beschreiben, ich bleibe immer der Schuldner." Ganz gewiß spielt er dabei auf seine Berufung als Patriarch an.

Als Missionsratgeber war er in den sechziger Jahren berufen worden. 1973 kehrte er von seiner ersten Reise zur Generalkonferenz mit einer zusätzlichen Aufgabe zurück, als Patriarch der Mission.

Diese Berufung hat ihn sehr glücklich, aber auch demütig gemacht, weil er es sich nicht vorstellen konnte, auch auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht. "Sie ordinieren einen todkranken Mann", hat er zu President Kimball gesagt. Doch dessen Antwort war profetisch: "Sie werden noch tausend segnen." Heute ist er etwa zwei Dutzend vor dem ersten Tausend und erfreut sich, entsprechend seines Alters (im 81.Lebensjahr), bester Gesundheit.

Viele sich zum Positiven verändernde Dinge hat Bruder Krause erlebt, so war er dabei, als Präsident Monson das Land erneut weihte, und ist auch mit einbezogen gewesen, als es sichabzeichnete, daß in der DDR ein Tempel stehen würde.

"Wenn ich zurückschaue, sage ich immer wieder, es ist gut, daß wir einen guten Gott haben und einen gnädigen Gott und einen gerechten Gott. Der gütige und gnädige ist mir derliebste, denn wenn er mich nach jedem Wort richten würde, dann ginge es mir auch schlecht."

Viele Jahrzehnte allen Mitgliedern ein Beispiel an Glaubens-stärke und Tatkraft, ist Bruder Krause auch heute noch ein Mann Gottes, an den sich mancher wendet, wenn er Probleme hat oder Rat braucht, weil er sicher sein kann, Verständnis zu finden und nspirierte Antworten zu erhalten.