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"60 Jahre Dienst für den Herrn"

Alfred und Elsa Gärtner

(aus der Zusammenstellung von Manfred Schütze, "Was Du ererbt von Deinen Vätern. . .")

Älter sind sie geworden. Er, Jahrgang 1904, sie eineinhalb Jahre jünger. Es fällt schon mitunter schwer, regelmäßig zu den Versammlungen zu kommen. Doch - wenn es irgend geht dann sind sie da; sie seit 1916, er seit l927 - und schon früher. Denn das sind nur die Taufdaten von Schwester Elsa und Bruder Alfred Gärtner aus der Gemeinde Berlin-Friedrichshain.

Während ich an einem Herbsttag in ihrem gemütlichen Wohnzimmer sitze und ihr Buch der Erinnerung vorgelegt bekomme, erlebe ich etwas Außergewöhnliches - ein erfülltes Leben zweier menschen, in dem das Evangelium immer der Mittelpunkt war. Bruder Gärtner hLIt sein Notizbuch und liest mir vor, was er aus der Erinnerung "trocken" aufgelistet hat:

Und Schwester Gärtner? Sie hat nicht sLIche "repräsentativen" Berufungen aufzuweisen - oder doch? War nicht neben Tätigkeiten in der FHV und in dar Primarvereinigung ihre wichtigste Aufgabe immer die, ihren Mann zu unterstützen?

Und so kommt im weiteren Gespräch das Umfeld zutage. Sie ist es eigentlich, der ihr Mann seine Mitgliedschaft verdankt. Sie ist schon durch ihre Eltern in die Kirche gekommen. Es müssen ebenfalls sehr glaubenstreue Menschen gewesen sein, denn Schwester Gärtner erzählt von ihnen:

"Als meine Eltern noch Untersucher der Kirche waren, hatten sie oft nicht genügend Geld, umsich die nötigsten Lebensmittel, wie Brot, Milch und Eier, zu kaufen. Die Missionare unterwiesen sie, doch das Gesetz des Zehnten auszuprobieren, was sie auch taten. Von nun an hatten wir eigenartiger Weise immer genügend Geld. Das wurde für mich als Kind ein starkes Zeugnis."

Dieses Zeugnis teilte sie, als sie 1925 Alfred Gärtner kennenlernte und das erstemal mit zu den Versammlungen brachte. Es fiel ihm schwer, seinen Sport aufzugeben - und noch etwas fürchtete er.

Als 18-jähriger hatte er einen Traum, den er nicht vergessen konnte. Er sah sich vor einer großen Versammlung am Rednerpult und zu den Versammelten sprechen. Ein Alptraum - der Wirklichkeit zu werden schien.

Als er sich am 17.9.1927 taufen ließ, begann Bruder Gärtners lebenslanger Dienst in Gottes Werk, der sich nicht nur in Zahlen belegen läßt und während dem er viele, viele Male am Rednerpult gestanden hat.

So erzählt er unter anderem, wie er 1946 aus der Gefangenschaft nach Hause zurückkehrte und sofort berufen wurde, das Gemeindeleben zu normalisieren, wie sie sich in einer Schule versammelten, wohin Stühle und Bänke für Versammlungen herangeschleppt werden mußten, daß damals jede Versammlung und zeitweise jeder Sprecher mit dem Inhalt der Ansprache anzumelden waren - und von anderen Schwierigkeiten.

Angesichts der vielen Mitglieder, die das Land und damit die Gemeinde verließen, war es schwer, in den 50-er Jahren das Vertrauen der Mitglieder zu bewahren.

"Jeden Sonntag fehlte eine neue Familie." Beide schätzen, daß ca. 200 Mitglieder in dieser Zeit entweder inaktiv geworden oder weggezogen sind. Manche Mitglieder hätten nicht mehr in die Gemeinde kommen wLIlen, weil sie kein Vertrauen mehr in die Brüder hatten. "Wer weiß, ob Sie nächsten Sonntag noch da sind!" war ein häufig an ihn gerichteter Zweifel. Da war es nicht immer überzeugend, wenn er ehrlich versicherte: "Ich lasse die Herde nicht im Stich."

Schwester Gärtner fügt, wenn sie an die vielen Jahre des Dienens denkt, hinzu: "Wir haben alles geduldig ertragen. Es kam nicht selten vor, daß er abends um 22.00 Uhr oder gar nachts noch um einen Krankensegen gebeten wurde. Als Verkäufer arbeitete er lieber in einem Privatgeschäft und verzichtete dabei auf manche Geldprämie, um frei zu sein für kirchliche Verpflichtungen in der Dienstzeit - hauptsächlich für Beerdigungen. Insgesamt hat er wohl vierzig Beerdigungen durchgeführt, einmal drei in einer Woche. Mitunter kam es vor, daß sein Chef den Laden schließen mußte, um ihm den Beerdigungsgottesdienst zu ermöglichen."

Und da schaltet sich ihr Mann wieder ein: "Das habe ich aber auch in meiner Jugend lernen müssen." - Und er erzählt, wie er als junger Ältester aufgefordert worden war, eine Grabsegnung durchzuführen, aber nicht sicher wußte, wie das zu tun war. "Das war mir eine Lehre. Sofort übte ich und hLIte nach, was mir fehlte"

Jahrzehnte haben beide ihre Kraft für den Herrn gegeben, ihre Kinder und Enkel in gleicher Weise angespornt und dabei Freude und Enttäuschungen erlebt. Lange Sonntage sind es gewesen, wenn er, angewiesen nur auf öffentliche Verkehrsmittel, im Distrikt unterwegs war, bis nach Brandenburg, Rathenow, Leest, Frankfurt/Oder, um seine Berufung zu erfüllen.

Heute kann ich ihn bei meinen Besuchen fast immer im hinteren Teil des Saales, meist in der Nähe des Nachtspeicherofens finden. Er ist da - mit seiner Frau - seit mehr als 60 Jahren, gewachsen und gereift im Dienst für andere und in der Liebe zueinander.

Was wünscht man ihnen? Daß sie noch lange gemeinsam auf dieser Erde zusammen sein und uns ein Beispiel bleiben mögen.